Ein Interview auf den Seiten DURCHBLICK GESUNDHEIT
Der Hamburger Orthopäde und Reha-Mediziner Dr. Matthias Soyka hat sich auf die Suche nach einer Antwort gemacht. Herausgekommen ist ein ganzes Buch zum Thema Wartezeiten. Und alle Studien und Untersuchungen, die er gefunden hat, sprechen eine deutliche Sprache: Verglichen mit anderen Ländern stehen die Deutschen wirklich gut da, was Wartezeiten auf einen Arzttermin betrifft.
Interview
Herr Dr. Soyka, warum sind Wartezeiten eigentlich ein Thema, das es immer wieder auf die Titelseiten bringt? Eigentlich steht Deutschland doch gar nicht so schlecht da, oder?
Deutschland hat die kürzesten Wartezeiten der Welt. Das zeigen alle Studien, die ich gefunden habe. Trotzdem empfinden einige diese Wartezeiten als unzumutbar. Das liegt an der Gewöhnung an einen guten Zustand. Die Deutschen sind an die Wohltaten des Gesundheitswesens so gewöhnt wie die Brasilianer an ihr gutes Wetter. Und so wie man in Rio schon 20 Grad Lufttemperatur als kalt empfindet, stöhnt mancher Deutsche schon, wenn er mal länger als eine halbe Stunde warten muss.
Das ist durch die Amazon-Mentalität nicht besser geworden. Alles muss sofort passieren und sofort geliefert werden. Viele Menschen können nicht mehr warten. Sie verlernen dabei nicht nur eine wichtige Kulturtechnik, sondern sie sind auch sehr empfänglich für Kampagnen, die mit der angeblich unzumutbaren Wartezeit einen Pseudogrund für politische Vorhaben liefern.
Das Thema Wartezeit wird oft missbraucht. Es wird häufig genutzt, um den guten Ruf der Ärzte anzukratzen. Auf diese Art und Weise sollen fragwürdige Reformen und Bürokratisierungen legitimiert werden.
Die SPD betont immer wieder, eine Bürgerversicherung würde die Wartezeiten verkürzen. Wie sehen Sie das?
Die Wartezeiten sind kein gutes Argument für eine Bürgerversicherung. Ich habe berechnet, um wie viele Tage sich die Wartezeiten für die gesetzlich versicherten Patienten verkürzen würden. Gesetzlich Versicherte müssen im Schnitt 16 Tage auf einen Termin beim Facharzt warten, Privatversicherte 7 Tage. 89 Prozent der Bevölkerung sind in der GKV und nur 11 Prozent in der PKV versichert. Für die GKV-Patienten ergäbe das dann rein rechnerisch eine Verbesserung von einem Tag; bei den Hausarzt-Wartezeiten wären es sogar nur 0,1 Tage.
In der Realität würde es durch eine Bürgerversicherung sogar zu deutlich längeren Wartezeiten für alle kommen. Das hat mehrere Gründe, auf die ich in meinem Buch ausführlich eingehe.
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Die Weltgesundheitsorganisation WHO etwa hat vor einigen Jahren die Gesundheitssysteme von 14 Ländern untersucht. Ergebnis: Bei den Wartezeiten lag Deutschland ganz vorn. Weitere Studien hätten dasselbe Ergebnis gebracht: „In keinem anderen Land sind die Patienten mit der Wartezeit auf stationäre oder ambulante Behandlungen besser bedient“, sagt Soyka. In Großbritannien etwa müssten Patienten monatelang auf Operationen warten.
Wer hierzulande dringend eine Behandlung benötige, bekomme sie auch rasch. Fälle, in denen jemand durch lange Wartezeiten gesundheitlichen Schaden erlitten habe, seien in Deutschland kaum zu finden, sagt Buchautor Soyka.
Aber da beginnt bereits das Problem. Denn vieles, was für den Patienten dringend erscheint, ist es aus medizinischer Sicht gar nicht. Die Klinik-Notaufnahmen können davon ein Lied singen: Klinikärzte berichten über Patienten, die seit Wochen unter Rückenschmerzen leiden, jetzt aber bitte sofort einen Arzt sehen wollen. Und Arztpraxen können von Patienten berichten, die schimpfen, wenn sie auf den Termin für die jährliche Vorsorgeuntersuchung ein paar Wochen warten müssen. Für den einzelnen vielleicht ärgerlich, der Gesundheit abträglich sind solche Wartezeiten aber nicht, betont Soyka.
Verwunderlich sei, dass Wartezeiten beim Arzt vielen unerträglich schienen, während sie in anderen Bereichen eher als Qualitätsbeweis gelten. Keiner sieht einen Makel darin, wenn man in einem besonders guten Restaurant lange auf eine Tischreservierung warten muss, nennt Orthopäde Soyka ein Beispiel. Und die lange Schlange, die sich sonntags vor dem beliebten Bäcker bildet, gilt als Beweis dafür, wie gut dessen Backwaren sind. Doch müssen sie bei einem besonders beliebten Arzt länger auf einen Termin warten, schreien manche Patienten Zeter und Mordio.
Dann gibt es noch die Wartezeit in der Arztpraxis. Gerade die ist für viele Menschen unerträglich. Natürlich sei es ärgerlich, wenn man pünktlich zum Termin erscheint und dann warten muss, weiß auch Praxisinhaber Soyka. Und natürlich versuche jede Arztpraxis, die Wartezeiten so kurz wie möglich zu halten. Es sei nun aber einmal so, dass sich eine Sprechstunde nicht minutengenau durchplanen lasse.
Notfälle könnten sich eben nicht Wochen im Voraus einen Termin holen. Für solche Fälle hält jede Praxis einige Termine frei. Doch die reichen manchmal nicht. Denn andererseits könne der Arzt auch nicht den halben Tag für Notfälle frei halten. Denn dann müssten die anderen Patienten ja noch länger auf einen Termin warten.
Soykas Fazit: Ein bisschen mehr Gelassenheit beim Thema Wartezeit wäre angebracht. Und auch die Patienten selbst könnten etwas tun, um Wartezeiten kurz zu halten: Die Deutschen sind momentan Weltmeister, was die Zahl der Arztbesuche anbelangt – und das, ohne dass sie generell kränker wären als die Menschen in anderen Ländern. 17 Mal im Jahr sucht jeder Deutsche durchschnittlich einen Arzt auf. Durch diese häufigen Arztbesuche werden die Wartezeiten natürlich länger, schreibt Soyka.